Machen Sie aus Ihrer Wartezeit am Bahnhof doch mal wertvolle Lesezeit. Lassen Sie sich von bewegenden Reden der Geschichte inspirieren. Steigen Sie ein in die Welt der Worte. Ein großes Leseerlebnis wartet schon auf Sie.
Am 9. Oktober 2012 wurde die 15-jährige Malala Yousafzai von Taliban-Extremisten auf dem Schulweg in den Kopf geschossen, weil sie sich für das Recht von Mädchen auf Bildung einsetzte In ihrer Rede vor den Vereinten Nationen fordert sie 2013 laut und deutlich Bildung für jedes Mädchen. Ihr Satz „Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch, ein Stift“ wurde zum Slogan. Bis heute bleibt ihre Rede ein Weckruf für den Zugang zu guter Bildung für alle überall auf unserem Planeten.
Rede vor den Vereinten Nationen von Malala Yousafzai
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Sehr geehrter Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, verehrter Präsident der Generalversammlung, Vuk Jeremić, geehrter UN-Sondergesandter für globale Bildung, Gordon Brown, verehrte Älteste, liebe Brüder und Schwestern.
Salam alaikum.
Es ist mir eine Ehre, nach langer Zeit wieder sprechen zu dürfen.
Hier zu stehen, umgeben von so angesehenen Persönlichkeiten, ist ein bedeutender Moment in meinem Leben. Besonders bewegt mich, dass ich heute den Schal von Benazir Bhutto trage. Ein Symbol für Mut und Hoffnung.
Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Ich weiß nicht, was Sie erwarten, dass ich sage.
Doch zuerst danke ich Gott, vor dem wir alle gleich sind. Und ich danke jedem einzelnen Menschen, der für meine Genesung gebetet und mir ein neues Leben geschenkt hat.
Ich bin überwältigt von der Liebe, die mir entgegengebracht wurde. Tausende Karten und Geschenke aus aller Welt haben mich erreicht. Danke an die Kinder, deren unschuldige Worte mich ermutigt haben. Danke an die Älteren, deren Gebete mir Kraft gaben.
Danke an die Krankenschwestern, Ärzte und das Krankenhauspersonal in Pakistan und im Vereinigten Königreich und an die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate, die mich unterstützt hat, wieder zu Kräften zu kommen.
Ich unterstütze mit voller Überzeugung die Initiative „Global Education First“ von Ban Ki-moon und die Arbeit von Gordon Brown sowie Präsident Vuk Jeremić. Ihr Vorbild inspiriert uns alle, aktiv zu werden.
Liebe Brüder und Schwestern, der „Malala-Tag“ ist nicht mein Tag. Es ist der Tag jeder Frau, jedes Jungen und jedes Mädchens, die ihre Stimme für ihre Rechte erhoben haben.
Es ist der Tag all jener Menschenrechtsaktivisten und Sozialarbeiter, die nicht nur reden, sondern kämpfen. Für Frieden, Bildung und Gleichberechtigung.
Tausende wurden von Terroristen getötet, Millionen verletzt.
Ich bin nur eine von ihnen. Ich stehe hier als ein Mädchen unter vielen.
Ich spreche nicht für mich, sondern für jene, die keine Stimme haben. Für jene, die für ihr Recht auf Frieden, Würde, Chancengleichheit und Bildung kämpfen.
Am 9. Oktober 2012 schossen die Taliban mir in die linke Stirn. Sie verletzten auch meine Freunde. Sie glaubten, eine Kugel könne uns zum Schweigen bringen. Doch sie irrten.
Aus dem erzwungenen Schweigen erhoben sich tausende Stimmen.
Sie dachten, sie könnten meine Ziele zerstören, meine Träume beenden.
Doch das Gegenteil geschah: Schwäche, Angst und Hoffnungslosigkeit starben. Mut, Leidenschaft und Stärke wurden geboren.
Ich bin immer noch dieselbe Malala. Mit denselben Zielen, denselben Hoffnungen, denselben Träumen.
Ich bin nicht hier, um Hass zu verbreiten oder Rache zu üben. Nicht gegen die Taliban, nicht gegen irgendeine Terrorgruppe. Ich bin hier, um für das Recht jedes Kindes auf Bildung zu sprechen. Auch für die Kinder der Taliban und aller Extremisten.
Ich hasse nicht einmal den Mann, der auf mich geschossen hat. Selbst wenn ich eine Waffe in der Hand hätte und er vor mir stünde. Ich würde nicht abdrücken.
Das Mitgefühl habe ich von Mohammed, dem Propheten der Barmherzigkeit, von Jesus Christus und von Lord Buddha gelernt.
Die Vision des Wandels habe ich von Martin Luther King, Nelson Mandela und Muhammad Ali geerbt.
Die Philosophie der Gewaltlosigkeit von Gandhi und Mutter Teresa.
Die Vergebung meines Vaters und meiner Mutter.
Meine Seele sagt mir: Sei friedlich. Und liebe jeden.
Wir erkennen den Wert des Lichts erst, wenn wir die Dunkelheit sehen. Wir erkennen den Wert unserer Stimme erst, wenn wir zum Schweigen gebracht werden.
In Swat, im Norden Pakistans, erkannten wir den Wert von Stiften und Büchern, als wir den Lauf eines Gewehrs vor uns sahen.
„Die Feder ist mächtiger als das Schwert.“ Dieser Satz ist wahr.
Extremisten fürchten Bücher und Stifte, weil sie die Macht der Bildung fürchten.
Sie fürchten Frauen, weil sie die Kraft der Stimme einer Frau fürchten.
Darum töten sie Schülerinnen, Lehrerinnen und Helferinnen. Darum sprengen sie Schulen. Sie fürchten Veränderung. Sie fürchten Gleichberechtigung.
Ich erinnere mich an einen Jungen in unserer Schule. Ein Journalist fragte ihn: „Warum sind die Taliban gegen Bildung?“ Er zeigte auf sein Buch und sagte: „Ein Taliban weiß nicht, was hier drinsteht. Er glaubt, Gott sei ein kleiner, engstirniger Herrscher, der mit Gewehren droht, nur weil man zur Schule geht.“
Die Terroristen missbrauchen den Namen des Islam und der paschtunischen Kultur für ihre eigenen Zwecke.
Pakistan ist ein friedliebendes, demokratisches Land. Paschtunen wollen Bildung für ihre Töchter und Söhne. Der Islam ist eine Religion des Friedens, der Menschlichkeit und der Brüderlichkeit. Er sagt: Bildung ist nicht nur das Recht jedes Kindes. Sie ist seine Pflicht.
Sehr geehrter Generalsekretär, Frieden ist die Grundlage für Bildung.
Doch in vielen Teilen der Welt, besonders in Pakistan und Afghanistan, verhindern Terrorismus, Krieg und Konflikte den Schulbesuch.
Wir haben von diesen Kriegen genug.
Frauen und Kinder leiden auf unzählige Weisen. In Indien schuften Kinder in ausbeuterischer Arbeit. In Nigeria wurden Schulen zerstört. In Afghanistan leiden Menschen seit Jahrzehnten unter Extremismus. Mädchen werden zur Hausarbeit gezwungen und früh verheiratet.
Armut, Unwissenheit, Ungerechtigkeit, Rassismus und die Verweigerung grundlegender Rechte sind unsere größten Herausforderungen.
Heute spreche ich besonders über Frauenrechte und Mädchenbildung. Weil Frauen und Mädchen am meisten leiden. Früher baten Aktivistinnen die Männer, für ihre Rechte einzutreten.
Heute sagen wir: Wir tun es selbst.
Ich fordere nicht, dass Männer schweigen. Ich fordere, dass Frauen selbstbewusst und unabhängig werden und für sich selbst kämpfen.
Liebe Schwestern und Brüder, jetzt ist die Zeit, unsere Stimme zu erheben.
Wir rufen die Weltführer auf, ihre Politik zugunsten von Frieden und Wohlstand zu ändern. Alle Friedensabkommen müssen die Rechte von Frauen und Kindern schützen. Jede Vereinbarung, die diese Rechte verletzt, ist inakzeptabel.
Wir fordern kostenlose, verpflichtende Bildung für jedes Kind weltweit.
Wir fordern den Kampf gegen Terrorismus und Gewalt, den Schutz von Kindern vor Brutalität.
Wir fordern die Unterstützung der Bildung von Mädchen in Entwicklungsländern.
Wir fordern Toleranz und das Ende von Vorurteilen aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Geschlecht.
Wir können nicht erfolgreich sein, wenn die Hälfte von uns davon abgehalten wird.
Wir rufen unsere Schwestern weltweit auf:
Seid mutig. Erkennt eure Stärke. Entfaltet euer volles Potenzial.
Wir wollen Schulen und Bildung für die Zukunft jedes Kindes. Wir werden unseren Weg zu Frieden und Bildung weitergehen.
Niemand kann uns aufhalten. Wir werden für unsere Rechte sprechen. Wir werden mit unserer Stimme Veränderung bringen.
Wir glauben an die Kraft unserer Worte. Denn Worte können die Welt verändern. Wenn wir gemeinsam für Bildung kämpfen.
Lasst uns die Waffe des Wissens ergreifen und uns mit Einheit und Zusammenhalt schützen.
Vergesst nicht:
Millionen Menschen leiden unter Armut, Ungerechtigkeit und Unwissenheit. Millionen Kinder gehen nicht zur Schule. Millionen warten auf eine friedliche Zukunft.
Lasst uns gemeinsam gegen Analphabetismus, Armut und Terrorismus kämpfen.
Lasst uns unsere Bücher und Stifte erheben. Die sind unsere mächtigsten Waffen.
Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern.
Bildung ist die einzige Lösung. Bildung ist alles.
Vielen Dank.