Machen Sie aus Ihrer Wartezeit am Bahnhof doch mal wertvolle Lesezeit. Lassen Sie sich von bewegenden Reden der Geschichte inspirieren. Steigen Sie ein in die Welt der Worte. Ein großes Leseerlebnis wartet schon auf Sie.
1963 löste Martin Luther Kings Rede am Lincoln Memorial nicht nur ein politischen Erdbeben aus. Sie war ein moralischer Turbo für die Bürgerrechtsbewegung und half, Mehrheiten für Civil Rights Acts gegen Rassentrennung in Schulen, Bussen und Restaurants zu gewinnen. Heute gilt die Rede als ein Maßstab für uns alle: gegen Rassismus, Wahlhürden, Polizeigewalt und soziale Spaltung. Für Demokratie, gewaltfreien Protest und echte Chancengleichheit.
Rede „I Have a Dream“ von Martin Luther King
Link zu diesem Abschnitt kopierenIch freue mich, heute mit euch hier zu sein, bei einer Kundgebung, die in die Geschichte eingehen wird als die größte Demonstration für Freiheit, die unsere Nation je erlebt hat.
Vor hundert Jahren unterzeichnete ein großer Amerikaner, in dessen symbolischem Schatten wir heute stehen, die Emanzipationserklärung. Sie war ein Leuchtfeuer der Hoffnung für Millionen schwarzer Sklaven, die in den Flammen der Ungerechtigkeit lebten. Sie war wie der Sonnenaufgang nach einer langen Nacht der Gefangenschaft.
Doch hundert Jahre später ist das farbige Amerika immer noch nicht frei. Hundert Jahre später ist unser Leben noch immer gezeichnet von den Fesseln der Rassentrennung und den Ketten der Diskriminierung.
Hundert Jahre später leben wir noch immer auf einer einsamen Insel der Armut. Umgeben von einem Meer des Wohlstands.
Hundert Jahre später sind wir an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wie Fremde im eigenen Land.
Darum sind wir heute hier. Wir wollen diesen Zustand sichtbar machen. In gewisser Weise sind wir in die Hauptstadt gekommen, um einen Schuldschein einzulösen.
Als die Gründer unserer Republik die großartigen Worte der Verfassung und der Unabhängigkeitserklärung niederschrieben, haben sie damit ein Versprechen gegeben. Ein Versprechen, dass alle Menschen, Schwarze wie Weiße, unveräußerliche Rechte besitzen: das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf das Streben nach Glück.
Doch heute ist klar: Für Bürger mit dunkler Haut hat Amerika dieses Versprechen gebrochen. Statt den Schuldschein einzulösen, hat man einen ungedeckten Scheck ausgestellt, zurückgewiesen mit dem Stempel „nicht gedeckt“.
Aber wir weigern uns zu glauben, dass die Bank der Gerechtigkeit bankrott ist. Wir weigern uns zu glauben, dass es in diesem Land nicht genug Mittel gibt, um Chancen für alle zu schaffen. Wir sind hier, um diesen Scheck einzulösen. Damit uns Freiheit und Gerechtigkeit ausgezahlt werden.
Wir sind hier, um Amerika an die Dringlichkeit des Augenblicks zu erinnern. Jetzt ist nicht die Zeit für den langsamen Weg kleiner Schritte.
Jetzt ist die Zeit, die Versprechen der Demokratie einzulösen.
Jetzt ist die Zeit, aus dem dunklen Tal der Rassentrennung auf den hellen Weg der Gerechtigkeit zu treten.
Jetzt ist die Zeit, unsere Nation aus den Treibsanden der Ungerechtigkeit auf den festen Fels der Brüderlichkeit zu heben.
1963 ist kein Ende, es ist ein Anfang. Und wer glaubt, wir müssten nur Dampf ablassen und wären dann zufrieden, der täuscht sich gewaltig.
Ohne Gerechtigkeit wird es in Amerika keinen Frieden geben. Der Sturm des Protestes wird unser Land weiter erschüttern, bis der Tag der Gerechtigkeit anbricht.
Doch dabei sage ich auch: Wir dürfen im Kampf um unsere Rechte nicht selbst schuldig werden. Wir dürfen unseren Durst nach Freiheit nicht mit Hass stillen. Wir müssen unseren Protest mit Würde und Disziplin führen. Wir dürfen uns nicht in Gewalt verlieren. Wir werden physischer Gewalt mit der Kraft der Seele begegnen.
Die neue Stärke, die die schwarze Gemeinschaft gefunden hat, darf uns nicht misstrauisch gegenüber allen Weißen machen. Viele unserer weißen Brüder sind heute hier, weil sie erkannt haben: Unser Schicksal ist mit ihrem Schicksal verbunden. Unsere Freiheit ist untrennbar mit ihrer Freiheit verknüpft. Wir können diesen Weg nur gemeinsam gehen.
Und wir dürfen nicht umkehren.
Wir werden nicht ruhen, solange Schwarze Opfer von Polizeigewalt sind.
Wir werden nicht ruhen, solange Reisende wegen ihrer Hautfarbe in Hotels und Motels abgewiesen werden.
Wir werden nicht ruhen, solange unsere Kinder ihrer Würde beraubt werden. Durch Schilder, auf denen steht: „Nur für Weiße“.
Wir werden nicht ruhen, solange Schwarze in Mississippi nicht wählen dürfen und Schwarze in New York keinen Sinn darin sehen, ihre Stimme abzugeben.
Nein, wir werden nicht zufrieden sein, bis Gerechtigkeit wie ein Strom fließt und Rechtschaffenheit wie ein mächtiger Fluss.
Ich weiß: Viele von euch sind aus Gefängnissen hierhergekommen. Viele haben unter Verfolgung und Polizeigewalt gelitten. Ihr seid Veteranen des Leidens. Haltet fest an dem Glauben, dass unverdientes Leiden eine erlösende Kraft hat.
Geht zurück in die Südstaaten, geht zurück in die Ghettos der Städte im Norden – aber geht mit der Gewissheit, dass sich diese Situation ändern wird. Lasst uns nicht im Tal der Verzweiflung bleiben.
Ich sage euch: Auch wenn wir heute und morgen Schwierigkeiten haben – ich habe trotzdem einen Traum. Einen Traum, tief verwurzelt im amerikanischen Traum.
Ich habe den Traum, dass eines Tages diese Nation aufstehen wird und die wahren Worte ihres Credos lebt: „Alle Menschen sind gleich geschaffen.“
Ich habe den Traum, dass eines Tages in Georgia die Söhne ehemaliger Sklaven und die Söhne ehemaliger Sklavenhalter gemeinsam am Tisch der Brüderlichkeit sitzen.
Ich habe den Traum, dass selbst Mississippi, ein Staat voller Unterdrückung und Ungerechtigkeit, zu einer Oase der Freiheit und Gerechtigkeit wird.
Ich habe den Traum, dass meine vier Kinder eines Tages in einem Land leben, in dem sie nicht nach der Hautfarbe, sondern nach dem Charakter beurteilt werden.
Ich habe den Traum, dass selbst in Alabama eines Tages schwarze Jungen und Mädchen mit weißen Jungen und Mädchen als Brüder und Schwestern Hand in Hand gehen werden.
Ich habe den Traum, dass jedes Tal erhöht, jeder Hügel gesenkt, die krummen Wege gerade und die rauen Wege eben werden – und dass die Herrlichkeit Gottes sichtbar wird für alle.
Das ist unsere Hoffnung.
Mit diesem Glauben kehre ich zurück in den Süden. Mit diesem Glauben werden wir aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung schlagen.
Mit diesem Glauben werden wir die Misstöne unserer Nation in eine Symphonie der Brüderlichkeit verwandeln. Mit diesem Glauben werden wir gemeinsam arbeiten, gemeinsam beten, gemeinsam kämpfen, gemeinsam für die Freiheit einstehen. Im Wissen: Eines Tages werden wir frei sein.
Und an diesem Tag werden alle Kinder Gottes singen:
„Mein Land, du süßes Land der Freiheit, von dir singe ich. Land, in dem meine Väter starben, Land des Stolzes der Pilgerväter: Von jedem Berg lasse die Freiheit erklingen.“
Ja, lasst die Freiheit erklingen – von den Hügeln New Hampshires, den Bergen New Yorks, den Alleghenies Pennsylvanias, den Rockies Colorados, den Hängen Kaliforniens.
Lasst die Freiheit erklingen – vom Stone Mountain in Georgia, vom Lookout Mountain in Tennessee, von jedem Hügel und jeder Anhöhe Mississippis.
Lasst die Freiheit erklingen in jedem Dorf, in jeder Stadt, in jedem Staat.
Bis alle Kinder Gottes, Schwarze und Weiße, Juden und Nichtjuden, Protestanten und Katholiken, einander die Hände reichen und die Worte des alten Gospels singen:
„Endlich frei, endlich frei! Dank sei dem allmächtigen Gott. Wir sind endlich frei!“